Der positive Nachhall der Krise

Der Klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger ist einer jener WissenschaftlerInnen, die derzeit an vorderster Front nach Wirkstoffen zur Behandlung von COVID-19 forschen. Neben seiner Sponsorrolle im Rahmen der sogenannten ACOVACT-Studie leitet er auch eine klinische Studie der MedUni Wien, die die Wirksamkeit eines synthetischen Peptids untersucht. Im Interview mit FOPI.flash beleuchtet Zeitlinger Chancen und Herausforderungen dieses Ansatzes, aber auch klinischer Forschung im Allgemeinen.

Herr Zeitlinger, Sie erforschen einen neuen Wirkstoff, der ursprünglich nicht zur Therapie von COVID-19 kreiert wurde. Was steckt dahinter?

Das synthetische Peptid wurde eigentlich zur Behandlung von akutem Lungenversagen entwickelt, geriet nun aber in den Fokus, weil bisherige klinische Daten von PatientInnen mit COVID-19 gezeigt haben, dass ein großer Anteil der Schwerkranken an akutem Lungenversagen leidet. Dieses so genannte Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) ist oft durch Lungenödeme charakterisiert. Derzeit ist jedoch kein Arzneimittel speziell für die therapeutische Behandlung von Lungenpermeabilitätsödemen oder ARDS zugelassen. Der neue Wirkstoff Solnatide – ein von dem Wiener Unternehmen Apeptico entwickeltes synthetisches Peptid – scheint deshalb vielversprechend und wird bereits an ersten COVID-19 PatientInnen getestet.

Welchen Nutzen erhoffen Sie sich für die betroffenen PatientInnen?

Bei COVID-19 „ertrinken“ gewissermaßen die PatientInnen mit einem schweren Verlauf, und genau da setzt das Peptid an. Es wird in Form eines flüssigen Aerosols in die unteren Atemwege eingebracht, aktiviert die Clearance der Flüssigkeitsbildung in den Lungenbläschen und verringert das Austreten von Blut und Flüssigkeiten aus den Kapillaren. Das soll das Ausmaß vom alveolären Ödem reduzieren bzw. dessen Auflösung beschleunigen. So hoffen wir, dass die Zeit, die die PatientInnen beatmet werden müssen, verkürzt werden kann – was sowohl für die PatientInnen gut ist als auch Ressourcen in den Spitälern schafft.

Welche Erfahrungen haben Sie beim Aufsetzen der Studie gemacht? Man hört immer wieder von einzigartiger Kooperationsbereitschaft von allen Seiten …

Dem kann ich nur zustimmen! Die konkrete Studie wurde in enger Abstimmung mit der Ethikkommission der MedUni Wien und Behörden beschleunigt zugelassen und wird voraussichtlich im Rahmen eines FFG Corona Emergency Calls gefördert. Das zeigt, was derzeit möglich ist. Es wird tatsächlich an einem Strang gezogen, und Behörden, akademische ForscherInnen und Industrie arbeiten weitgehend grenzenlos zusammen. Während unter normalen Umständen „auf dem Dienstweg“ Mails geschrieben und gewartet werden musste, schalten sich jetzt alle Beteiligten auch über Kontinente hinweg in einer kurzfristig einberufenen Telefonkonferenz zusammen und klären Hürden oder Probleme in kürzester Zeit.

Glauben Sie, wird diese neue Form der Zusammenarbeit nach der Krise bleiben?

Teilweise ja, aber sie wird nicht automatisch bleiben. Jetzt basiert vieles auf dem Goodwill von allen Seiten. Wenn wir das in die Zukunft mitnehmen wollen, muss man das formalisieren und die Ressourcen schaffen. Das heißt, wir müssen den positiven Schwung mitnehmen, um für die nächste Pandemie noch besser gerüstet zu sein – und die nächste Pandemie kommt bestimmt.

Wo sehen Sie in der aktuellen Phase besondere Chancen, aber auch besondere Herausforderungen für die klinische Forschung in Österreich?

Wir haben jetzt die Gelegenheit die Bedeutung der klinischen Forschung zu untermauern. 2019 war für uns ein Katastrophenjahr, weil sich Fördergeber zurückgezogen haben. 2020 ist das genaue Gegenteil. Wir erleben eine außerordentliche Unterstützung von Fördergebern, von der FFG, vom FWF, von der Stadt Wien, um nur einige zu erwähnen. Und wir spüren, dass auch die Bevölkerung den Wert der klinischen Forschung plötzlich wahrnimmt. Nun müssen wir dafür sorgen, dass diese Stimmung einen möglichst langen Nachhall hat – damit der Forschungsstandort Österreich gesichert wird.

Gibt es auch Gefahren in dieser Phase?

Ich würde es nicht Gefahren nennen, aber es gilt schon, bei all dem Druck und dem nachweislichen Need von wirksamen Therapien die Sicherheit nicht aus den Augen zu verlieren. Wir behandeln Menschen. Das darf man nie vergessen. Auch wenn es verlockend ist, in dieser neuen Geschwindigkeit Forschung zu betreiben, muss man sich immer der Deklaration von Helsinki und seiner Verantwortung für den Patienten, der vor mir sitzt, bewusst sein. Deshalb bin ich froh, dass wir in Österreich bei all der Dynamik die Vorsicht und die Sicherheitsaspekte im Blick behalten.

Zur Person
Assoc. Prof. Priv. Doz. Dr. Markus Zeitlinger studierte Medizin in Wien, absolvierte die Facharztausbildung in Innerer Medizin sowie in Klinischer Pharmakologie, machte das Postgraduate-Diplom in Clinical Research und habilitierte sich im Jahr 2008 in Klinischer Pharmakologie. Seit Juni 2007 leitet er die Sektion Clinical Pharmacokinetics /Pharmacogenetics and Imaging an der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien/AKH Wien, seit Oktober 2015 ist er Klinikleiter. Er hält mehrere Funktionen bei nationalen und internationalen Fachgesellschaften und ist Reviewer internationaler Fachjournale. Markus Zeitlinger hält bei über 200 Publikationen in peer-reviewed Journals. Als Experte der EMA hat er an über 300 wissenschaftlichen Gutachten (SAWP/CHMP) mitgearbeitet.